Autofahrer haben oft eine Erklärung, wenn es darum geht, ein Tempolimit zu missachten: Durchfall, Erbrechen, ein wichtiger Gerichtstermin. Was sagen Gesetz und Rechtsprechung? Das Rechtsportal Refrago hat sich mit diesem Thema beschäftigt.
„Die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit kann tatsächlich bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen erlaubt sein. Dem Autofahrer kann nämlich ein sogenannter rechtfertigender Notstand zur Seite stehe. Geregelt ist dies in § 16 des Ordnungswidrigkeitengesetzes (OWiG). Danach ist eine Geschwindigkeitsüberschreitung gerechtfertigt, wenn der Autofahrer damit eine nicht anders abwendbare Gefahr für ein Rechtsgut (Bsp.: Leben, Gesundheit, Eigentum, Freiheit) von sich oder einem anderen abwenden will“, erklärt Refrago die - sperrig formulierten - gesetzlichen Voraussetzungen.
Der Kern der Rechtfertigung ist dabei eine Interessensabwägung zwischen der Sicherheit des Straßenverkehrs und der Abwendung der Gefahr (etwa der verpasste Gerichtstermin). Was wiegt im Einzellfall schwerer? Hätte das Problem auch anders gelöst werden können (zum Beispiel früher zum Gericht aufbrechen?)
Berufliche Termine müssen zurückstehen
Refrago hat wichtige Entscheidungen zu diesem Thema zusammengestellt. So verneinten Gerichte eine Rechtfertigung zum schneller fahren zum Beispiel bei Durchfall. Der Fahrer müsse hier vielmehr seine Fahrt beenden oder unterbrechen (Amtsgericht Lüdinghausen, Aktenzeichen 19 OWi-89 Js 155/14-21/14), um etwa am Seitenstreifen sein Problem zu behandeln (Oberlandesgericht Zweibrücken, Aktenzeichen 1 Ss 291/96). Soll ein kranker Hund oder Wellensittich gerettet werden, zeigt sich die Rechtsprechung etwas hartherzig: Das Interesse an Sicherheit des Straßenverkehrs überwiege das Interesse an Leben und Gesundheit eines Tieres, argumentiert unter anderem das Oberlandesgericht Düsseldorf, Aktenzeichen 2 Ss (OWi) 97/90 - (OWi) 30/90 II. Änhliches gilt bei Erbrechen im Taxi oder der Wahrnehmung eines Gerichtstermins durch einen Rechtsanwalt. Das Interesse an der Sauberkeit des Taxis und das berufliche Interesse des Rechtsanwalts müssen hinter der Sicherheit des Straßenverkehrs zurücktreten.
Notlagen können Rechtfertigungsgründe sein
Anders sahen die Gerichte die Rechtslage in folgenden Fällen, hier ist laut Refrago eine Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit „möglicherweise zu rechtfertigen“: Wenn es um die Rettung einer in Wehen liegenden hochschwangeren Frau geht, (Oberlandesgericht Düsseldorf, Aktenzeichen 5 Ss (OWI) 411/94 - (OWi) 211/94 I), den Noteinsatz eines Hausarztes (Oberlandesgericht Hamm, Aktenzeichen 1 Ss OWi 824/01) oder die erforderliche Notoperation eines Facharztes im Krankenhaus (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Az. 1 Ob OWi 331/90).
(tc)