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Runter vom Bremspedal

24.05.2019 15:19 Uhr
Verbandsvorsitzender Jochen Klima vor einem Q3 von Hauptaussteller Audi
© Foto: Mireille Pruvost

Ob "AM15", Änderung der Beschränkung für Automatikfahrzeuge oder autonomes Fahren. Der Fahrlehrerverband Baden-Württemberg betrachtet die Entscheidungen in Berlin und Brüssel kritisch und zeigt auf, was den Berufsstand im Ländle nach vorne bringen würde.

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Erst in der vergangenen Woche hat das Bundeskabinett den Weg frei gemacht zur dauerhaften Herabsetzung des Mindestalters der Führerscheinklasse AM auf 15 Jahre. Nach einem seit 2013 laufendem Modellprojekt, das im April 2020 ausläuft, bislang aber nur in den fünf ostdeutschen Bundesländern getestet wurde, hoffen die Fahrlehrer in Baden-Württemberg nun auch bald den 15-Jährigen in ihrem Bundesland den „Moped-Führerschein“ anbieten zu können. Ein hochaktuelles Thema, das auf der Mitgliederversammlung des Fahrlehrerverbandes Baden-Württemberg am 18. Mai in Friedrichshafen mit Beifall aufgegriffen wurde, doch von der Bundespolitik nur halbherzig gelöst wurde. Denn nach wie vor soll es den Ländern überlassen sein, ob die Klasse AM schon mit 15 Jahren erworben werden kann oder erst mit 16. Und Jochen Klima, Vorsitzender des Fahrlehrerverbandes Baden-Württemberg, ist skeptisch, ob sein Bundesland dann endlich von der Lockerung Gebrauch machen wird, da die derzeitige Landesregierung der Einführung vom AM15 sehr ablehnend gegenüberstünde.

Bei Grenzüberfahrung kann Straftat drohen

Die Folge wäre ein Flickenteppich in Deutschland und die drohende Begehung einer Straftat wegen des Fahrens ohne Fahrerlaubnis, sollte ein 15-Jähriger mit Klasse AM mit seinem Moped eine Landesgrenze überfahren. „Würde also beispielsweise Bayern AM 15 einführen und Baden-Württemberg nicht, dann müssten bayerische Fahrerlaubnisbesitzer auf der Donaubrücke zwischen Neu-Ulm und Ulm umkehren – vorausgesetzt, sie wissen, wo die Landesgrenze ist. Kleinstaatlicher geht es fast nicht mehr“, kritisierte Klima die zögerliche Änderung.

Diesem Problem war sich der geladene parlamentarische Staatssekretär Steffen Bilger durchaus bewusst und gab zu, dass die nach intensiven Diskussionen mit der Verkehrsministerkonferenz getroffene Entscheidung, die Einführung den Ländern zu überlassen, gerade mit Blick auf Grenzüberschreitungen nicht optimal sei. Der Bundestagsabgeordnete des Wahlkreises Ludwigsburg sagte: „Baden-Württemberg hat ja gesagt, man würde erst einmal weitere Modellversuche und die Ergebnisse des Modellversuches abwarten. Ich würde mir allerdings schon wünschen, dass wir in Baden-Württemberg offen wären, diese Veränderung vorzunehmen.“ Von sehr vielen jungen Leuten sei dies gewünscht, der Bedarf sei da, sagte er unter Applaus der anwesenden Fahrlehrer.

Große Zustimmung bekam Klima von seinen Mitgliedern für seine Bitte, Bilger möge seinen Einfluss als baden-württembergischer CDU-Politiker in Stuttgart geltend machen, „damit unser Land nicht allmählich preisverdächtig fürs Ausbremsen vernünftiger Verkehrskonzepte wird“, sagte er mit Blick auf das begleitende Fahren ab 17, das sein Bundesland erst nach langem Zaudern der Politik als letztes eingeführt hatte.

Von verlängerter Probezeit könnten Fahrschulen profitieren

Ein weiteres Thema, dass der Staatssekretär den Fahrlehrer aus der Bundeshauptstadt mitbrachte, waren Pläne, die Probezeit von bislang 24 auf 36 Monate zu verlängern. Dies wird als notwendig erachtet, da nach wie vor zu viele jungen Erwachsenen in Unfälle verwickelt seien. 12,4 Prozent aller Getöteten und 16,1 Prozent aller Verletzten seien 2017 zwischen 18 und 24 Jahre alt gewesen, obwohl der Anteil an der Gesamtbevölkerung nur bei 7,7 Prozent lag, referierte Bilger.

Sollte die verlängerte Probezeit eingeführt werden, solle die Möglichkeit bestehen, diese durch Teilnahme an begleitetem Fahren oder nach einer oder mehrerer integrativen Maßnahmen zu verkürzen. „Und da brauchen wir dann auch wieder Sie“, wandte sich Bilger an die Fahrlehrerschaft. Das begleitete Fahren solle zukünftig über das 18. Lebensjahr hinaus möglich sein und außerdem sollten die Auflagen zum begleiteten Fahren vereinfacht werden.

Automatikregelung nicht mehr zeitgemäß

Nachdem die EU-Kommission im Februar 2019 den deutschen Vorschlag abgelehnt hatte, die Automatikregelung abzuschaffen oder praxisnah zu modifizieren, führt die praktische Prüfung auf einem Automatikfahrzeug weiterhin zum Eintrag der Schlüsselzahl 78.

Statt eine zweite Prüfung ablegen zu müssen, wenn jemand ein Fahrzeug mit Schaltgetriebe fahren möchte, was der baden-württembergische Verband klar verneint, solle es, so die Forderung der Fahrlehrervereinigung, eine „gewissenhafte Nachschulung auf Schaltwagen“ geben, in denen die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten erworben werden könnten. „Es wäre für uns sehr wichtig, eine nationale Lösung à la Frankreich zu finden, sofern Brüssel weiter mauert.“ Die Franzosen hätten es vorgemacht, so Klima. Dort bekämen Fahrerlaubnisbewerber EU-konform zunächst die Schlüsselzahl 78 eingetragen, sofern sie die Prüfung auf einem Automatikfahrzeug abgelegt hätten. Doch nach sechs Monaten Führerscheinbesitz könnten sie dies ändern, indem sie bei einer Fahrschule sich einer etwa zehnstündigen Ausbildung auf ein Schaltfahrzeug unterzögen. Legten sie anschließend der Fahrerlaubnisbehörde eine entsprechende Ausbildungsbescheinigung vor, werde ohne zweite Prüfung die Automatikbeschränkung gestrichen. „Uns ist durchaus bewusst, dass diese Regelung nicht ganz den Buchstaben des EU-Rechts entspricht. Aber sie kommt der Entwicklung entgegen, ist praxistauglich und setzt nebenbei großes Vertrauen in die Seriosität der französischen Fahrschulen“, sagte Klima. Besonders bemerkenswert findet er, dass der französische Weg bislang kein Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission ausgelöst habe.

Das Fahren verändert sich, der Beruf des Fahrlehrers auch

Irgendwann in ferner Zukunft wird jedoch auch das in heutiger Form bekannte und verbreitete Automatikgetriebe der Vergangenheit angehören. Dann nämlich, wenn das Fahrzeug automatisiert oder gar autonom fährt. Auch wenn dies noch lange dauern wird, muss dieser Entwicklung frühzeitig Rechnung getragen werden – auch in der Ausbildung der Fahrlehrer. Unstrittig ist für den Fahrlehrerverband Baden-Württemberg, dass es auch künftig gut ausgebildete Fahrlehrer braucht, um den Menschen den richtigen Umgang mit teil- und hochautomatisierten Fahrzeugen im komplexen Straßenverkehr zu vermitteln. Doch den Vorstand treibt die Frage um, sie ausreichend dafür gerüstet sind, um angesichts der fortschreitenden Digitalisierung und rasanten Automatisierung der Fahrzeuge und des Verkehrs auf der Höhe der Zeit zu bleiben. „Dafür sind auch Kenntnisse in Informatik (…) erforderlich. Sucht man aber in den Zugangsvoraussetzungen oder im Themenkanon der aktuellen Fahrlehrerausbildung nach diesen Themen, wird man dort nicht fündig. Damit zeigt sich ein Mangel des neuen Fahrlehrergesetzes. Bei der Fassung der Zugangsvoraussetzungen wurde nicht vorausgedacht“, sagte Klima.

Das sieht auch Steffen Bilger so. Das automatisierte Fahren müsse angegangen werden und die Fahrausbildung erweitert werden. Dazu sei bereits eine Unterarbeitsgruppe „Fahrausbildung automatisiertes Fahren“ gegründet worden. Da der Staatssekretär lobte, dass deutsche Unternehmen, gemessen an der Zahl der Patente ganz vorn in der Entwicklung vom automatisierten zum autonomen Fahren mit dabei seien, bleibt für die Fahrlehrer zu hoffen, dass die Entscheider in den Berliner Ministerien ihnen nacheifern werden – und hoffentlich ebenso weit vorn mit dabei sein werden, wenn es darum geht, die politischen Rahmenbedingungen für diesen gigantischen Wandel zu gestalten.

Digitalisierung im Fahrschulgeschäft

Den Wandel in der Fahrschule durch Digitalisierung veranschaulichte Jürgen Kopp, zweiter stellvertretender Vorsitzender der Bundesvereinigung der Fahrlehrerverbände. Nachdem er aufzeigte, wie sich durch die Digitalisierung die Machtverhältnisse in der Wirtschaft verändern, was jedem klar wird, der an die heute erfolgreichsten und wertvollsten Unternehmen der Welt wie Apple oder Facebook denkt, kam er auf den "Mikrokosmos" Fahrschule. Auch dort werde die Digialisierung wie selbstverständlich schon genutzt - in der Verwaltung, Schülererfassung oder bei der Onlineabwicklung. In naher Zukunft könne es eine komplett papierlose Datendokumentation geben und sogar eine digitale vorläufige Fahrberechtigung. Auch im theoretischen Unterricht könnte die Digitalisierung für eine moderne, zeitgemäße Weiterentwicklung sinnvoll genutzt werden.

Die Digitalisierung hält auch in der Versicherungswirtschaft Einzug. Darüber berichtete Thomas Freythaler, Vorstandsmitglied bei der Fahrlehrerversicherung, wo mit digitalen Informationen automatisierte Prozesse ausgelöst werden: Fotografierte Rechnungen könnten via App an den Versicherer gesendet werden, automatisiert werde der Rechnungsbetrag gelesen, die Daten mit Vergleichsfällen abgeglichen, verbucht, in der elektronischen Kundenakte ablegt und  überwiesen werden. Die Entwicklung zu noch mehr Digitalisierung wird durch den Einsatz künstlicher Intelligenz und smart data, womit sich Risiken mit Vorhersagen einschätzen, Betrugsrisiken minimieren und mit angereicherten Daten Vorhersagen treffen lassen, weiter voranschreiten. 

Die 69. ordentliche Mitgliederversammlung des Fahrlehrerverbandes Baden-Württemberg in Friedrichshafen war gut besucht. Bei der Wahl des zweiten Vorsitzenden wurde Jochen Klimas Stellvertreter, Ralf Nicolai, einstimmig – bei einer Enthaltung – für weitere vier Jahre wiedergewählt.

(mp)


Mitgliederversammlung Baden-Württemberg 2019

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